Krinslichrüm sind Rundtouren, die versteckte Besonderheiten und offenkundig Beachtenswertes im fränkischen Thüringen streifen. Es wurden unterwegs Orte besucht, die man schon immer mal besuchen wollte. Krinslichrüm mischt dabei alles bunt durcheinander: Natürliches und Kunstvolles, Wertvolles und Heimatgeschichtliches, Geologisches und Geografisches, Sagenhaftes und Fürchterliches, Anstrengendes und Erfrischendes. Die Strecke begleiten DDR-Mauerreste, Goldseifen, das Grüne Band, Aussichten von und nach Melchersberg sowie Karstquellen und Höhlen.
*Krinslichrüm ist ein Begriff aus dem Itzgründischen, einem fränkischen Dialekt, der zwischen Rennsteig und Coburg vornehmlich in den Dörfern im fränkischen Thüringen bis in die heutige Zeit gelebt und gesprochen wird. Krinslichrüm meint, dass man mit Mühe, Sorgfalt und Bedacht wirklich alles rundherum abgegrast – unter die Lupe genommen hat. Krinslichrüm geht man, wenn man etwas Verlorenes sucht oder einen beschwerlichen Weg auf sich genommen hat, der einen aber wieder an seinen Ursprung zurück führt.
Unter dieser Maßgabe starteten wir unsere Tour in Rauenstein. Besonders wird bei dieser Wanderung Wert auf den Weg selbst gelegt. Gleich zu Beginn zeigte sich unser Wanderführer von der Absperrung des Bahnhofsgeländes unbeeindruckt. Hier fehlt ein Stück im Geländer: hier geht es durch. Hinter der Ruderalflur ist tatsächlich ein Steig. Er steigt steil hinauf zu einer aufgelassenen Streuobstwiese Richtung Meschenbach. Im 20. Jahrhundert nutzten die Dorfbewohner diesen Saumpfad als Abkürzer zum Bahnhof und Industriewerk. Auf dem Muschelkalkplateau angekommen führt der Weg über die Richtstätte an der Haderleite zur St. Katharinenkirche.
Dieses Schmuckstück war einst Filial von der Pfarrkirche Effelder und erhielt seinen Namen laut einer Sage vom Burgfräulein auf dem Rauenstein, dass auf dem gerade erst überquerten Richtplatz auf dem Scheiterhaufen als Hexe hat sterben sollen und nur durch die List der findigen Meschenbacher Bauern gerettet und zur wohltätigen Stifterin werden konnte.
Auf unbefestigten Pfaden folgten wir der Südrandverwerfung des Thür. Schiefergebirges hinauf nach Melchersberg. Hinter diesem Bruch in der Erdkruste verschwindet das Wasser der Gebirgsbäche in Karsthöhlen. Die Aussicht über das Frankenland nimmt kein Ende. Doch nun versuchen wir zu erkunden, wo das verschwundene Gebirgswasser wieder zu Tage tritt. Nach 2,5 Kilometer sprudelt eine gewaltige Quelle unter dem Muschelkalk hervor. Am wasserstauenden Röt entspringt die Rierschnitz. Nach nur einem Kilometer mündet sie an einer historischen Mühlenstätte in die Effelder. Hier stand im Mittelalter der Blatterndorfer Hammer. Er lieferte sein Eisen auch in die Vestestadt. Heute sind hier leisere Klänge zu hören. Bienen summen in den Ästen der Kornelkirsche. Die Früchte aus dem Vorjahr werden aus dem Rucksack gezaubert. Sie haben, gebadet im Alkohol, den Winter gut überstanden -schmecken fruchtig süß.
Weiter Richtung Süden betreten wir das ehemalige Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze. Die Natur konnte sich hier besonders entfalten und steht heute unter Naturschutz. Natürlicher Wald, kleine Bäche, Teiche und mäandrierende Flüsse sind heute wieder die Heimat von Biber und Schwarzstorch. Durchbrochen wird das Idyll vom Donnern des ICE der in Richtung Berlin unseren Weg kreuzt. Zeit für eine Rast. Am kleinen Bürgerhaus in Roth auf der Höh wartet die Frau Bürgermeisterin mit ihren Helfern auf die durstigen Wanderer. Doch krinslichrüm sind wir erst zu gut zwei Drittel. Die Stärkung nutzt der Ausdauer. Die brauchen wir bei der Erkundung des mittelalterlichen Goldseifenfeldes in einer Schotterterrasse der Grümpen. Durch den Bau eines gewaltigen Grabens konnten die Goldkörnchen auch hier ausgewaschen werden. Tonnen von goldhaltigem Sediment eiszeitlicher Schmelzwässer wurden hier mühsam von Hand umlagert, um an das begehrte Edelmetall zu gelangen. Über die Arbeiter und Bergleute ist hier nichts Aktenkundiges überliefert. Wohl aber sind die Relikte der mühsamen Arbeit noch sichtbar. Flussauf folgt der Fränkische Weg der Itz. Im Schatten mächtiger Bäume kommen wir so schnell nach Schalkau. Den einst zwischen Schaumberger Rittern und Sächsischen Herrschern geteilten Ort durchqueren wir im Zickzack des uralten Gassengewirrs zwischen Kirche und Amtshaus. Ein alter Hohlweg führt weiter Richtung Norden. Er findet eine Fortsetzung in der trockenen Furt bei Rauenstein. Auch hier verschwindet das Wasser im Untergrund und bildet gewaltige Hohlräume. Auf der über 1600 Meter langen Rauensteiner Tropfsteinhöhle gehen wir bis zu deren Ende am sogenannten Raffineriegang zum Ortseingang von Rauenstein. Fast geschafft. Weit über zwanzig Kilometer auf wechselhaftem Untergrund und fast acht Stunden zu Fuß liegen hinter uns.
Ralf Kirchner